Nach Monaten der Schliessung öffnen die Kinos wieder: Gelegenheit für einen Rückblick auf unser der Filmkritik gewidmete Fokus-Programm, in dem es auch immer um die Bedeutung der Kinos ging.
Journalist*innen werden entlassen, Redaktionen schrumpfen, die professionelle Kunstkritik steht vor einem Legitimationsproblem – und gleichzeitig entstehen neue Formen: Vor diesem Hintergrund wurden im Rahmen des Fokus-Programms Kritiker:innen und Expert*innen aus dem In- und Ausland eingeladen, in sechs Gesprächen über die Rolle der Filmkritik zu diskutieren.
Drei Fragen stellten den Ausgangspunkt der verschiedenen Diskussionen dar: Wie kann eine post-pandemische Filmkritik aussehen? Wie hat sich in den vergangenen Jahr die filmkritische Autorität verschoben? Müssen Kritiker*innen heute immer stärker als Kurator*innen agieren, sind also weniger filmkritische Texte gefragt, sondern mehr Serviceleistung?
Mit einem Blick in die Zukunft eröffnete das Programm. Die Filmkritikerin Denise Bucher, der Produzent David Fonjallaz sowie der deutsche Filmkritiker und Publizist Georg Seesslen sprachen mit der Filmhistorikerin Marcy Goldberg über eine mögliche „post-pandemische Filmkritik“.
Für alle Gesprächsteilnehmer*innen war klar, dass die Situation mit der wir heute konfrontiert sind, durch die Ereignisse der Pandemie nur noch beschleunigt worden sind. Freie Filmkritiker*innen haben schon längere Zeit keine wirtschaftliche Basis mehr, gefragt sind neue Fördermodelle und eine Stärkung der Filmkultur, die sich im Bezug zu den dominierenden Marktmächten positionieren muss.
Wir kommen nicht darum herum zu sagen, dass die Zukunft der Filmkultur, aber auch die der Filmkritik ein Frage des Machtkampfs ist.
Dass es in Zukunft zu Machtkämpfen kommen wird, darin waren sich auch die Teilnehmer*innen des Panels „Filmkritische Autorität“ einig. Nach einer Einführung des deutschen Literaturwissenschaftlers Johannes Franzen, sprachen der Filmkritiker Florian Keller, die Kritikerin Hannah Pilarczyk sowie Franzen über Fragen der Legitimation. Ausgehend von der Feststellung, dass sich in den vergangenen Jahren Zuschauer*innen in den sozialen Medien immer stärker Gehör verschafften, hat sich die Intensität des Konfliktes, wer was sagen dürfen könne, deutlich verschärft.
Auch die beiden Filmkritiker Stéphane Gobbo und Frédéric Jaeger konstatierten in ihrem Gespräch „Die neuen Kurator*innen?“ eine Verschiebung von der Kritik hin zu einer Art kinematographischen Journalismus.
Während der Pandemie müssen Kritiker*innen ihre Zuschauer*innen dorthin führen, wo das Kino stattfindet. Das bedeutet eine grössere Freiheit, da man sich die Filme auf den diversen Plattformen aussuchen kann, gleichzeitig jedoch müsse jedoch diese Entscheidungen gegenüber Redaktionen umso stärker verfochten werden.
Die Erwartung wird immer grösser, dass man nur noch elegant formulierte Inhaltsangaben schreibt und dieser Druck ist massiv.
Wir leben in der Zeit eines digitalen Plebiszits, in der eine Art Volksentscheid stattfinden kann darüber, was gute und was schlechte Kunst ist.
Einen besonderen Schwerpunkt des Programms war der Kritik in der Form von Videoessays gewidmet, die sich seit einigen Jahren grosser Beliebtheit erfreuen. Die Künstlerin und Ko-Gründerin von filmexplorer.ch Ruth Baettig, der Medienwissenschaftler und der Videoessayist Johannes Binotto sowie die britische Dozentin und Videoessays-Pionierin Catherine Grant sprachen über das ihre Arbeit mit Videoessays und wie sich diese in den vergangenen zehn Jahren entwickelt haben. Eine besondere Rolle spielte dabei finanzielle Fragen. Wie kann man mit Videoessays seinen Lebensunterhalt verdienen? Gesucht sind heute vor allem Strukturen, die es Videoessayist*innen erlauben, von ihrer Arbeit leben zu können.
Videoessayist*innen formen eine virtuelle Community, die das Ende der Film-Blogs überlebt hat.
Ausgehend ihren eigenen Arbeiten erzählte Chloé Galibert-Laîné in einer Masterclass wie Videoessays entstehen. Sie gehört zu den wichtigsten Essayistinnen, deren preisgekrönte Filme auf zahlreichen Festivals gezeigt worden sind. In dem Gespräch mit Giuseppe De Salvatore illustrierte sie anhand zahlreicher Beispiele, wie sie ihre sogenannten Desktop Documentaries, also Filme, die komplett auf ihrem Bildschirm entstehen, entwickelt.
Einen guten Überblick über das aktuelle Videoessay-Schaffen findet sich auf der Seite des britischen Filmmagazins Sight & Sound: The best video essays of 2020.
Es ist kein Zufall, dass die Krise der Filmkritik mit der des Kinos zusammenfällt. In allen Gesprächen wurde darum immer auch über die Bedeutung des Kinoraums als idealer Ort der Filmrezeption gesprochen. Was die Pandemie und der Macht der Streaming-Plattformen für das Kino bedeutet, das war das Thema der letzten Diskussion.
Das Berliner Kino Sinema Transtopia sowie das La Clef Revival in Paris, sind zwei herausragende Kino-Initiativen, die mit grossem Erfolg zeigen, dass das Kino als Ort, der Menschen zusammen bringt, ein fundamentaler Bestandteil der öffentlichen Kultur ist. Zentraler Gedanke ist dabei, dass die Trennung zwischen den Zuschauer*innen und Kinomacher*innen, zwischen dem Kinosaal und der Leinwand, aufgehoben werden muss. Das Ziel ist ein partizipatives Kino.